Schauspiel-Spektakel
„Luther“ ohne Luther bei den Nibelungenfestspielen
Nibelungen-FestspieleSunnyi Melles als Papst Leo X.: Spektakuläres Luther-Stück in Worms 2021 bei den Nibelungen-Festspielen.21.07.2021 vr Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Nibelungen-FestspieleNibelungen-Festspiele 2021 mit "Luther": Szene mit Jan Thümer als machtfixiertem Kurfürst Joachim von Brandenburg.Im Jahr 1521 war der Mönch und Reformator Martin Luther zu Gast in Worms. Auf dem Reichstag stand er für seine neuen Glaubenseinsichten ein. Genau 500 Jahre später ist er wieder Gast in der Stadt am Rhein. Die Nibelungengfestspiele in Worms nehmen den historischen Auftritt zum Anlass, ein fulminantes Stück über Luther auf die Bühne zu bringen. Der Schweizer Dramaturg und Büchner-Preisträger Lukas Bärfuss schafft dabei das Kunststück, Luther allgegenwärtig sein zu lassen, ohne ihn auftreten zu lassen. In dem bunten Reigen der historischen Figuren fast am Orignalschauplatz vor dem Wormser Dom fehlt einer nämlich auf der Bühne: Luther.
Lutherposter im Glaskiosk
Trotzdem gelingt es Bärfuss, die Geschichte als hochspannende Staatsaffäre zwischen Machtintrige, Geldgier und Religionskampf zu erzählen. Und auch überraschend: Tragende Rollen spielen Frauen, die Männerfiguren verkörpern. Allen voran Sunnyi Melles überragend als Papst Leo X. Der hat, historisch verbürgt, mehr am dickhäutigen Haustier Hanno – einem Elefanten – Interesse als am Lauf der Weltgeschichte. Viel Spaß macht auch Barbara Colceriu in ihrem Glaskiosk mit Luther-Postern. Sie zieht als Devotionalien verrückter Luther-Freund Friedrich der Weise geschickt die Strippen im Hintergrund. Ständig klingelt irgendwo ein Telefon.
Wortschlacht mit Laserschwert
Bedrückend im Stück dagegen: Die schamlose Ausnutzung der Frauen. Als Schurken überzeugen Jürgen Tarrach als Ablass-gesteuerter Kardinal Albrecht zu Brandenburg und Jan Thümer als machtfixierter Kurfürst Joachim von Brandenburg. Auf der goldfarben gestrichenen Bühne regieren aber nicht nur Geld und düstere Intrigen. Zwischendurch hellen die hip-hoppigen Klänge von Musikerin Flora Lili Matisz alle auf. So wird die Kaiserwahl zum bunten Klamauk al la „Deutschland sucht den Superstar“. Wortgefechte werden auch mal als Kampf mit Maschinenpistolen zwischen Cola-Automat und Container im Stil von Quentin Tarantino inszeniert. Und ja, auch das Laserschwert aus Star Wars darf nicht fehlen. Moderne Videotechnik sorgt schließlich dafür, dass auch auf den billigsten Plätzen der Open-Air-Bühne das Lichtschwert ebenso strahlt wie die Gesichter der Mimen. So wird aus dem Drei-Stunden-Stück „Luther“ auch ohne Luther eine kurzweilige Achterbahnfahrt durch die Reformationsgeschichte für alle Sinne.
Bildreiche Inszenierung
Auch der hessen-nassauische Präses Ulrich Oelschläger, der in Worms lebt, zeigte sich nach der Uraufführung begeistert: „Eine abwechslungsreiche Inszenierung mit vielen Überraschungen in der Transformation des historischen Stoffs in modernes Theater; für manchen mitunter etwas viel.“ Oelschläger ist aber auch überzeugt: „Die hohe Schauspielkunst müsste auch bei den kritischsten Stimmen Anerkennung finden.“ Und: „Die Wirkmächtigkeit Luthers in seiner Zeit durch die bildreiche Inszenierung zur Anschauung zu bringen, ohne ihn auftreten zu lassen, ist eine geniale Idee.“
Auflösung der Geschlechterrollen
Hessen-Nassaus Kirchenpräsident Volker Jung hatte ebenfalls bereits Gelegenheit, das Stück anzusehen. Er sieht in der Inszenierung einen „spannenden, ungewöhnlichen und unterhaltsamen Zugang zu Luther und seinem Kerngedanken der Freiheit eines Christenmenschen". Jung: „Hier wird Geschichte mit modernen Mitteln, kreativer Bildsprache und hervorragenden Schauspielerinnen und Schauspielern inszeniert. Hervorragend ist auch die Auflösung der Geschlechterrollen. Das alles irritiert und regt sehr an. Es ist viel besser als jeder Versuch historischer Rekonstruktion, der dann doch immer daneben liegt.“
Atemberaubende Kulisse
Ulrike Scherf, Stellvertretende Kirchenpräsidentin sieht in „Luther“ ein „anregendes Gesamtkunstwerk vor einer atemberaubenden Kulisse“. Sie findet es eine „phantastische Idee, anstelle des klassischen Nibelungenstoffs zum 500. Jubiläum des Wormser Reichstags Martin Luther ins Zentrum zu stellen.“ Spannend sind für sie die „Irritationen durch Nutzung moderner Medien wie Smartphones, einem E-Papamobil, Popmusik mit Tanz, aber auch in völlig unerwartetem Zusammenhang erklingendem Lutherchoral ‚Vom Himmel hoch, da komm ich her‘“. Und: „Es ist toll, wieder Kultur erleben zu können. Grandiose Schauspielerinnen und Schauspieler, die endlich wieder auftreten können und den Applaus verdient haben.“
Noch bis zum 1. August in Worms
Infos und Tickets:
www.nibelungenfestspiele.de
Hotline: 01805-337171